Dienstag, 15. Januar 2013

Zum Tode von James McGill Buchanan (1919-2013)

Mit James Buchanan ist nicht nur irgendein Nobelpreisträger der Ökonomie gestorben. Buchanans Leistung reicht viel tiefer und weiter.

Buchanan ist einer jener Denker gewesen, die in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundlagen des modernen Staates von Grund auf neu durchdacht haben. Zusammen mit dem bereits 2002 verstorbenen John Rawls war Buchanan einer jener Theoretiker, die in den siebziger Jahren die bereits vergessen und obsolet erschienene Theorie des Gesellschaftsvertrags wieder herausholten, um sie in ganz neuer und moderner Form zu präsentieren. Gerade in Deutschland herrschte bis dahin vornehmlich eine Staatsphilosophie, die dem Staat eine grundsätzlich andere, ‚höhere' Dignität zuerkannte, die mit den Wünschen und Präferenzen der Einzelnen nur wenig zu tun hatte. Noch im 1974 erschienenen 3. Band des "Historischen Wörterbuchs der Philosophie" heißt es zum Begriff Gesellschaftsvertrag, dieser sei eine überholte Idee. Es waren Rawls und Buchanan, die diese überholte Idee wieder entstaubten und eine demokratische, auf den Interessen der Bürger beruhende Form von Staatsbegründung wieder denkfähig machten.

Es ist aber noch ein zweiter Gedanke, der Buchanan so wichtig für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts werden lässt, ein Gedanke, der auch bei Rawls seine Tragweite nicht in dieser Form entfaltete. Buchanan war ein Liberaler, ja, man würde ihn in Deutschland zweifellos einen Radikalliberalen nennen. Dennoch ist gerade er es gewesen, der dem Freiheitsgedanken eine neue Begründung gegeben hat, und zwar eine, die auch Liberalen höchst kontrovers erschien und erscheint: Buchanan begründet Freiheit durch Einschränkungen der Freiheit. Es sind gerade die "Begrenzungen der Freiheit" (so der Titel eines seiner Hauptwerke, "The Limits of Liberty" von 1975), die paradoxerweise zu mehr Freiheit führen.

Das beginnt schon bei ganz alltäglichen Interaktionen: wenn bestimmte Handlungen verboten sind, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Nur wenn ich darauf vertrauen kann, dass Erpressung und Diebstahl nicht legal sind, kann ich zu meinem Interaktionspartner Vertrauen aufbauen und zu neuen, wechselseitig vorteilhaften Kooperationen gelangen. Dasselbe gilt aber auch in politischen Dimensionen: wenn wir nicht alles dürfen, dürfen wir auf einmal mehr. Dieser Gedanke sprengt politische Demarkationslinien; er ist weder links noch rechts einzuordnen. Als Beispiel können geglückte und weniger geglückte Privatisierungen dienen: die gut regulierte Privatisierung des Telefonmarktes in den Neunzigern war erfolgreich und führte zu deutlich mehr Freiheiten für die Verbraucher, die Liberalisierung des Energiesektors hatte jedoch lange Zeit aufgrund fehlender Regulierungen gerade die gegenteilige Wirkung.

Aber die Logik Buchanans gilt generell, und zwar gerade in einer Zeit, in der wir oft meinen, vor allem mit Einschränkungen der Freiheit zu kämpfen, und in der es manchmal scheinen mag, liberale Gedanken hätten keine Zukunft: Diese Einschränkungen können der Freiheit durchaus dienlich sein. In den aktuellen Bürgerkriegen von Syrien bis Somalia wäre es wünschenswert, die unbegrenzte Freiheit der Kämpfer einzuschränken, um den Bürgern dieser Länder wieder mehr Freiheiten zu geben. Und es gilt auch bei uns: In so mancher Diskussion, in der die Freiheit des Einzelnen gegen Mehrheitsentscheidungen ausgespielt wird (von Stuttgart 21 bis zur Speicherung von Fluggastdaten), sollten wir uns zumindest auch fragen, ob nicht der Freiheit durch Einschränkungen mehr gedient ist.

Buchanan stellte diese Fragen, und zwar bis zu seinem Tod. Einen Ruhestand gab es für ihn nicht, auch im Alter von 93 Jahren hielt er Vorträge, gab Interviews und schrieb unaufhörlich. Mit ihm starb einer der letzten großen alten Liberalen unserer Zeit.